Mittwoch, 27. Februar 2013

27.02.2013 - Tere hommikust kurk



Am Sonntag waren hier viele Feiern, besonders auf dem Vabaduse Väljak. Schließlich war es der Unabhängigkeitstag. Zum Aufhängen der Flagge und der anschließenden Parade bin ich allerdings nicht gegangen, da das Ganze früh morgens zum Sonnenaufgang anfing und da kein Bus hinfährt, hätte ich 7 km hinlaufen müssen – nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung an einem Sonntagmorgen um 5 Uhr. Schande über mich! Später war ich aber trotzdem da, habe also trotzdem ein bisschen mitbekommen. Von meiner Estnischlehrerin habe ich dann auch erfahren, dass sie auch noch nie dagewesen ist, weil das vielen Esten zu früh ist.
Den Abend haben wir dann mit einer schönen Runde Bowlen gefeiert, ich habe mit Abstand gegen alle verloren. Dabei habe ich dann nette Esten kennengelernt, die alle besser bowlen als ich.




Seit gestern kann ich dann auch auf Estnisch zählen, nach einer Telefonnummer fragen (nur für den Fall...), meine aufsagen: viiskümmend kaheksa, kakssada kaks, kolmsada üheksakümmend neli.
Ich muss das allerdings noch richtig üben, habe auch schon mit einem französischen Student überlegt, dass wir zusammen zu lernen. Das kann ja was geben. Immerhin kann ich theoretisch bis eine „miljard“ zählen. Praktisch fehlen mir da immer so ein paar Worte... Scheint so, als müsste ich arbeiten.
Dafür kann ich fließend in Spanisch zählen, was ja immerhin ein paar mehr Menschen auf der Welt sprechen.

Heute war ich einkaufen, dabei ist Frank und mir etwas sehr Interessantes aufgefallen. Auf dem Bild sieht man eine „Tere hommikust kurk“, eine „Guten Morgen Gurke“. Ich finde diese Portionierung schon irgendwie sehr lustig. Meine Mitbewohnerinnen, die es nicht mögen, als „three greek girls“ bezeichnet zu werden und hiermit offiziell als Vasia, Marilena und Maria vorgestellt werden, haben mich lauthals ausgelacht, als ich das Foto gemacht habe und gefragt, ob ich das Ding wirklich essen will. Ich gebe zu, durch das Glas sieht die Gurke etwas merkwürdig aus.




Bei der Gelegenheit: Ich bin ja in den fünften Stock umgezogen. An sich ist das ja sehr schön hier mit den Mädchen, aber die TREPPEN. Das ist mit einem Rucksack voll Einkäufe und einer Tüte voll frisch gewaschener Wäsche fast nicht mehr zu machen, auch wenn ich jetzt fast regelmäßig in das Sportcenter gehe und mit anderen Mädchen zur Musik rumhüpfe, letztes Mal hatten wir noch Hanteltraining dabei. Am Ende ist dann immer eine langsame Entspannungs- und Muskelaufbauübung, weswegen ich heute immensen Muskelkater habe. Aber da bin ich in guter Gesellschaft, meine Mitbewohnerin klagt auch schon deswegen.

Naja, dafür muss ich aber sagen, ich habe sie beim Kochen auch sehr ausgelacht, denn wie schon ein- oder zweimal erwähnt, fehlen hier manchmal die richtigen Kochtopfdeckel oder sonstiger Zubehör. Daher kam dann das folgende Bild zustande, auf dem man sieht, wie Hühnchen in einer sehr geruchsintensiven Variante innerhalb von zwei Stunden in unserer Studentenküche erstellt wurde. Die Pfanne war in dieser Zeit für mich belegt, da musste ich halt Brot mit Käse und Gurke essen...


Samstag, 23. Februar 2013

23.02.2013 - Herumwandern



Anfang der Woche bin ich im Haus umgezogen und muss jetzt eine Etage höher steigen als vorher. Jetzt lebe ich im fünften Stock, was in Deutschland der vierte wäre und habe drei nette Griechinnen als Mitbewohnerinnen. Die Wohnung ist auf der anderen Seite des Gebäudes, wodurch ich zuerst enorme Probleme hatte, denn alles, aber auch alles ist hier gespiegelt. Bisher wohnte ich in



Jetzt wohne ich in



Die Straße hat sich nicht geändert. Dafür, dass ich immer höher klettern muss, habe ich jetzt fantastischen Ausblick auf die Eiszapfen, die gegenüber am Gebäude hängen und durchaus eindrucksvoll sind. Ein Nachteil allerdings ist, dass der Flur hier am Montag sauber gemacht wird, die vierte Etage wurde immer Donnerstags gemacht. Für mich bedeutet das, dass ich nur aufstehen muss, weil das Zimmer sauber gemacht wird, obwohl ich frei habe, vorher war ich eh nie da, weil ich Unterricht hatte.

Am Donnerstag bin ich nach meiner Spanisch-Stunde in die Innenstadt gefahren und habe nach nur fünf Minuten Wartezeit (normal sind 60) meine ID-Card entgegengenommen. Jetzt bin ich offizieller Bürger von Tallinn! Damit darf ich die öffentlichen Transportmittel umsonst benutzen, kann endlich in die Bibliothek und nicht zu vergessen: ich kann jetzt drucken.
Ich habe mal, wie schon angekündigt, ein kleines Foto von meinen Karten gemacht. Darauf sind von links nach rechts zu sehen: Meine ID, Studentenkarte, ESN-Karte, zwei Sportkarten, Buskarte und die Karte, um nachts ins Hostel zu kommen, den Müll wegzubringen, Waschen zu gehen etc. 



Als ich das politsei-Gebäude verlassen hatte, rief mich Mark an, mit dem ich dann eine kleine Shoppingtour unternahm, dabei habe ich festgestellt, dass es eine Buchhandlung gibt, die viele internationale Bücher führt. Mein Portemonnaie war leer, der Tag gerettet. Auf dem Rückweg legten wir uns einen Plan für das Wochenende zurecht, wir wollten den See besuchen, der in Tallinn liegt und ein wenig spazieren. Schöne Idee, wir fanden also heraus, welchen Bus wir nehmen mussten und packten heute Morgen noch Frank ein und fuhren dahin. Dort angekommen stellten wir fest, dass der gesamte See umzäunt ist. Mist. Aber in Tallinn ist ja nichts weit weg, weswegen wir umgehend beschlossen, zu anderen Seite der Stadt zu fahren und das Meer zu besichtigen. In einer Straßenbahn, die äußerst langsam ist, fuhren wir dahin, auf dem Bild kann man unseren Weg anhand der gelben Linie verfolgen.



Jetzt wissen wir nicht nur, wo die verschiedenen Straßenbahnen langgurken, dass die Busse viel schneller sind und dass die Straßenbahnen stinken, sondern auch, wo sich die Stripteaseclubs und das Rotlichtviertel befinden. Das ist übrigens Franks Finger in seinen neuen Handschuhen, weil die alten für das hiesige Klima ungeeignet waren.

An der Endhaltestelle angekommen, stellten wir fest, dass dort wirklich keiner außer uns aussteigen will. Das Meer wiederum war sehr schön, wir machten einige schöne Bilder und genossen die Aussicht, bis vor allem Frank sagte, dass seine Füße und seine Nase nun genug gefroren hätten. War aber auch echt kalt heute.
Zurück im Hostel tranken wir Tee, und ich und meine Mitbewohnerinnen wurden Zeuge eines Naturspektakels, dass ich umgehend fotografieren musste: Wir sahen erst die Sonne und später dann den Mond!! In meiner bisherigen Zeit habe ich die Sonne drei Mal gesehen, den Mond noch nie.
Tallinn sah aus, wie mit roter Farbe übergossen, weil die Sonne gerade unterging.




Morgen ist übrigens der Tag der Unabhängigkeit, 95 Jahre besteht der Staat jetzt, auch wenn Estland davon etwa 50 Jahre besetzt war. Daher wird hier wohl morgen kräftig gefeiert, ich denke, ich werde den vabaduse väljak morgen aufsuchen, den Platz der Freiheit. Heute hing dort schon eine überdimensionale Flagge mit den Farben von Estland (wer es nicht weiß: blau, schwarz und weiß) und auf der Uniseite gibt es eine Einladung zum gemeinsamen Feiern – nur weiß keiner, ob morgens oder abends um 6 Uhr gemeint ist. Ich tippe auf abends, da danach Biertrinken im Pub angesagt ist, das spricht meiner Meinung eigentlich für abends, auch wenn viele Studenten anderer Meinung sind.

Dienstag, 19. Februar 2013

19.02.2013 - Studium

Mein Vater hatte sich schriftlich bei mir beschwert, dass ich fast nie was über das Studium an sich schreibe, gerade bekam ich einen Grund, genau das zu tun.

Ähnlich wie im Abitur bekam man drei Fragen, eine durfte man sich aussuchen und beantworten. Ich habe drei von sechs Themen gelernt. Totaler Griff ins Klo, keins davon kam dran. Nach intensiven Tiefbauarbeiten in den Katakomben meines Gehirns erinnerte ich mich wenigstens an ein Thema so halb. Ich habe knapp zwei Seiten geschrieben, ohne auch nur einen blassen Schimmer zu haben, ob das, was ich da verzapfe, der Wahrheit entspricht. Mein gewähltes Thema war übrigens (frei nach Gedächtnis und übersetzt): „Beschreibe die Welt nach William Morris, in der man lebt ohne Geld zu brauchen. Kommentiere.“

Ich zitiere meinen Professor für „Technology and society“ am Tag vor unserer Klausur: „Ihr müsst drei bis vier Seiten schreiben, damit ihr eine Chance habt zu bestehen. Wenn ihr nur zwei schreibt und besteht, seid ihr ein Genie“
Tja - ich scheine ein Genie zu sein!

Heute bekam ich die Nachricht, dass ich bestanden habe, habe also meine ersten vier Credits geschafft!

Ach ja: Es schneit wieder...

Samstag, 16. Februar 2013

17.02.2013 - Party, Popcorn, Pizza



Ich hatte gerade eine sehr lustige Erfahrung. Heute Nachmittag wurde ich von einer Finnin, die ich hier kennengelernt habe, angesprochen, ob ich Lust hätte, ins Kino zu gehen. Na klar! Im sozialen Netzwerk, auch unter dem Namen “Facebook“ bekannt, veröffentlichte ich sofort eine Anzeige, was der grobe Plan für den Abend sein sollte und wann wir loswollten. So waren wir immerhin sieben Leute, als wir uns nach einer großen Pizza, die sorgfältig aus dem unverständlichen Programm ausgewählt wurde („Is that vegetarian?“ „…“ „Ähm… Pizza Margherita???“- an dieser Stelle: hier heißt es „pitsa“)  in dem „Coca-Cola-Plaza“ trafen. Das System hier ist irgendwie lustig, man hat so  etwas ähnliches wie einen Kassenbon und geht damit durch eine Schranke. Außerdem überlegte ich, mir eine Portion Popcorn zu kaufen, unterließ es jedoch, weil Mark (Ungar) selig futternd mir ein wenig anbot, was ich fast wieder ausgespuckt habe.  Da erwartet man schon süßes Popcorn als Nachtisch und bekommt statt dessen völlig versalzenes! Als ich daraufhin meine Verwunderung kundtat, stieß ich auf völliges Unverständnis der anderen anwesenden Europäer. Es scheint so, dass Popcorn überall salzig ist, nur in Deutschland und –man höre und staune- in China nicht.

Nachdem auch dieser Kulturschock überwunden war, nahmen wir gemeinsam Platz im Kino, um „Django“ zu sehen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einem nicht-deutschen Film im Kino gewesen zu sein, dachte aber, dass Englisch ja gar nicht so schlimm sein kann. War es auch nicht. Was mich definitiv zum Lachen reizte, war  die Verwendung von zwei Untertiteln, Russisch und Estnisch. Verstand man das Englisch nicht so einwandfrei waren die beiden Titel unten keine besonders große Hilfe... Da in dem Film zum Teil auch noch Deutsch gesprochen wurde, gesellten sich auch noch englische Untertitel hinzu, dann war so viel Text zu sehen, dass das untere Drittel der Leinwand voll mit Text war. Aber dann hab ich ja zum Glück verstanden, was gesprochen wird.

Mit dem letzten Bus um fünf nach 12 ging es dann in der Dunkelheit Richtung Hostel zurück. Ein Tipp an alle, die herkommen wollen: Wer eine Jacke ohne Reflektoren hat, sollte entweder einen mitbringen oder mir Bescheid sagen, denn wer keinen hat, darf einen von der „Politsei“ kaufen- für schlappe 50 Euro (Hier übrigens E-U-RO ausgesprochen, also E und U getrennt).

Ich mag dieses Hostel sehr gerne, über den Werdegang meines Kücheninventars hatte ich ja schon mal berichtet. Aktueller Stand: ca. 10 Gläser, 3 Teller, ein scharfes und ein unscharfes Messer, ein neuer Löffel, eine Käsereibe und ein schöner roter kleiner Topf mit geradem Boden UND Deckel. Letzterer hat geradezu nach mir geschrien als ich ein Ei kochen wollte. Ich glaube, die Vorbesitzer vermissen ihn nicht besonders, da sie neu waren und noch nicht wussten, was so in der Küche sein kann…

Auch eine schöne Sache, für die ich Sprachschwierigkeiten manchmal liebe: Ich hatte mir Tortellini mit Sauce gekocht und wollte nicht allein essen. Beim wandern über den Flur traf ich Mark, mit dem ich mich kurz unterhielt und ihm mein Problem schilderte. Er fragte daraufhin, ob mein Essen „mobil“ sei. Nach einem kurzen Lachanfall hab ich ihm mein Geschirr in die Hand gedrückt und bin mit ihm in seine Küche essen gegangen. Zurück kam ich mit dem besagten Löffel mehr, denn den hatte ich in meiner Wohnung vergessen und einen zur Verfügung gestellt bekommen und den hinterher einkassiert. Selbstverständlich wird er hier artgerecht behandelt und hat besonders viele Gabeln um sich herum, die immer wieder aus dem Nichts auftauchen. Es ist eine tägliche Überraschung, was alles in der Küche ist oder eben nicht mehr ist.

Wer sich ein wenig über dieses Land informiert hat, weiß vielleicht, das Saunieren hier so etwas wie der Nationalsport ist. Also gibt es hier für Studenten häufiger mal Sauna-Partys, die wie der Name schon sagt in der Sauna stattfinden. Gestern Abend war so eine Party, es waren etwa 35 Leute da, die Sauna hatte 4 qm, von denen einer mit der Feuerstelle besetzt war. Also drei Quadratmeter, auf denen man Menschen unterbringen kann… Wir haben festgestellt, dass 20 Leute auf 3 qm locker Platz finden, vermutlich wären noch mehr reingegangen, aber irgendwie sollten ja auch alle auf die Fotos. Ich habe bisher leider keins bekommen, sonst hätte ich euch das gezeigt. Danach gab es natürlich immer allgemeines Gehüpfe in den kalten Pool, einer sprang dabei etwas zu hoch. Ihm ist fast nichts passiert (Schürfwunde und blauer Fleck), die Decke hatte ein schönes Loch.

Nach der mehrfachen Benutzung der Sauna gingen wir dann zum Party-Teil über, da ja alle in Badekleidung waren und da lauter kleine Tische herumstanden, war der gedankliche Schritt zum Tabledance nicht so weit. Wir machten einen kleinen Wettbewerb daraus, den zwei Jungs gegen Zsuzsi und mich leider, leider gewannen. Am Ende waren nur noch wenige ERASMUS-Studenten übrig, sodass wir viel Platz hatten. Der Abend war sehr schön und sehr lustig und endete mit der intensiven Suche nach dem billigsten Taxi, für das wir nur 4,60 Euro zurück zum Hostel zahlen mussten – ein neuer Rekord! Hier ist das Phänomen „Nachtbus“ leider unbekannt, sodass zwischen 12 und 6 kein Bus fährt.


Sonntag, 10. Februar 2013

11.02.2013 - Trip to South Estonia

Eins vorweg: Wer denkt, ich würde nur Party machen, liegt nicht ganz richtig. Aber auch nicht falsch... Der Trip am letzten Wochenende war beides, von daher wird der heutige Bericht ein wenig geschichtlich bildend ausfallen, immerhin habe ich die letzten zwei Tage sehr viel über das Land gelernt.

Am Samstag morgen sind wir um 8.00 Uhr mit dem Bus Richtung Süden aufgebrochen. Da einer verschlafen hat und darauf keine Rücksicht genommen wurde, waren wir einer weniger als geplant. Trotzdem noch ein Bus voll Studenten.




Die erste Station nach etwa zwei Stunden Fahrt war auf einem Rastplatz, wo wir Spiele gespielt haben und in vier Gruppen eingeteilt wurden, auch wurde ein Toilettenbesuch gestattet, denn unser nächstes Reiseziel lag in der Nähe von Tartu und hieß „Väike-Taevaskoja“, was übersetzt „kleine Himmelshalle“ bedeutet. Das sind 13m hohe und 190m lange Sandsteinbänke und Felsen, die von dem Ahja-Fluss freigespült wurden. Vor diesen ehrwürdigen Felsen haben wir Schneemänner und -frauen gebaut und sind dann durch den umliegenden Nationalpark spaziert, wo deutlich mehr Schnee liegt als hier in Tallinn. Landschaftlich war das vielleicht das schönste, was ich jemals gesehen habe... Ich habe versucht möglichst viel davon auf Bildern festzuhalten, aber trotz guter Kamera geben die Bilder nicht alles so ganz wieder. Schaut euch trotzdem mal ein wenig davon an.

Von diesem Park aus sind wir dann zu einer Farm gefahren, oder besser gesagt ein Museum, in dem man sehen kann, wie Menschen vor 100 Jahren in Estland gelebt haben. Sehr interessant, aber ganz ehrlich - so möchte ich nicht leben. Die Holzhäuser waren wunderschön, aber sehr dunkel und kalt, die Räumlichkeiten jedoch sehr gemütlich. Da wurden wir dann herumgeführt, und haben uns danach an traditionellem Kümmeltee und einem speziellen Dessert erfreut, dessen Name ich wieder vergessen habe. Diesen Satz werdet ihr noch öfter von mir lesen...

Die nächste Station war dann eine nahegelegene Stadt, um den verschlafenen Studenten vom Morgen einzusammeln, der sich tatsächlich einen Bus gesucht hat, in unsere Nähe gefahren ist und uns dann dort getroffen hat. Nach einer kurzen Einkaufspause ging es dann weiter zu unserem endgültigen Ziel: den „Forest Brothers“ in Vorumaa.

Selbstverständlich gab es auch hier einen kulturellen Teil, bestehend aus der Aufklärung über die Geschichte von Estland in diesem Teil. Nur ein kurzer Überblick über den historischen Hintergrund:

Estland war zwischen 1940 und 1990 von den Sowjets besetzt, nur kurz unterbrochen von 1941-1944, als die Deutschen dort waren. Damit beginnen auch schon die Probleme, denn wer zur Zeit der deutschen Besatzung beim Militär war oder auch nur mit den Deutschen zusammengearbeitet hat, wurde 25 Jahre nach Sibirien geschickt oder direkt erschossen. Um diesem Schicksal zu entgehen, flüchteten viele Menschen in den Wald um sich dort zu verstecken. Dort lebten sie in unterirdischen Bunkern und wurden „Forest Brothers“ genannt. Unsere Unterkunft wurden von Nachkommen dieser Männer geführt und bestand aus verschiedenen Holzhäusern und einer Schneestrecke zum Rodeln, inklusive Lift. Dabei waren einige der Unterkünfte etwas... nennen wir es abgelegen. Man beachte die Pyramiden auf dem Hügel. Aber sehr malerisch das Ganze, weil es permanent geschneit hat, so lange wir da waren.

Erzählt bekamen wir die Geschichte bei einer schönen Nachtwanderung durch den Wald und der Besichtigung eines Nachbaus einer Unterkunft, denn diese pflegten durch die Witterungverhältnisse innerhalb von vier bis fünf Jahren einzustürzen. Außerdem kosteten wir von dem damaligen Geld: Wodka. Um zu beweisen, dass man einander trauen kann, füllte man ein Glas, tauchte den Finger ein, zündete den Alkohol an, blies es aus, trank das Glas aus und aß ein Stück geräuchertes Fleisch.

Am Ende dieser Besichtigung des Geländes eroberten wir die Rodelbahn. Auf großen Luftreifen bildeten wir lange Reihen und rutschten gemeinsam den Hang herunter. Ganz ehrlich: Neben der Natur in dem Nationalpark war das das Schönste auf dem ganzen Trip, weil wir alle einfach Spaß hatten und mehr oder weniger wie Kinder waren.
Durchgefroren und gut gelaunt begaben wir uns dann zu Tisch, so etwa gegen 22.00Uhr. Doch bevor wir essen konnten, mussten wir mit dem Wodka anstoßen: auf alle, die im Wald gestorben sind, auf alle, die ihn überlebt haben... Das Essen war kalt als wir uns endlich setzen durften. Mit dem Wodka im Blut war es aber nicht schwer, nach dem Essen Lieder in einer fremden Sprache zu singen und dazu zu tanzen. Begleitet wurden wir von einem Akkordeon und einer Gitarre und hatten wahnsinnig viel Spaß dabei, ein Lied klingt mir immer noch im Ohr, das werde ich vielleicht auch mal übersetzen und aufschreiben. Denn eigentlich habe ich keine Ahnung, was wir gesungen haben.

Am Ende des Singens war es bereits so spät, dass der Sonntag schon angebrochen war und damit auch Franks Geburtstag. Selbstverständlich bin ich eine gute Freundin und habe die Tutoren vorher darüber informiert, sodass ihm in allen möglichen Sprachen musikalisch gratuliert wurde. Danach kreiste eine Flasche „Vana Tallinn“, ein hier hiesiger Likör. Außerdem musste Frank eine angeblich polnische Tradition über sich ergehen lassen...

Angeblich deshalb, weil ich mir nicht sicher bin, dass die polnische Fraktion unseres ERASMUS nicht einfach nur Spaß haben wollte. Denn bei der Aktion geht es darum, dass das Geburtstagskind sich auf den Bauch legt und mit einem Gürtel so oft auf den Hintern geschlagen wird, wie es alt wird. Nicht fest natürlich. Als gute Freundin habe ich auch ein paar leichte Schläge verteilt, damit es kein anderer fester macht.
Ich habe diesen Brauch auch im Internet gesucht aber nicht gefunden. Ich glaube, manche Dinge gehören einfach bei ERASMUS dazu...

Der Abend endete damit, dass wir in die Sauna gingen. Diese gehörte zu der Farm und war in drei verschiedene Räume eingeteilt: zwei normale Räume und eine Smoke-Sauna. Da die Räume nicht nebeneinander lagen und ich keine Flipflops hatte, habe ich mir im Schlafzimmer einen Bikini angezogen, ein Handtuch umgeschlungen und bin mit meinen dicken Schuhen und Wollsocken ungefähr 100m durch den Schnee gestapft. Zwischendurch noch ein kleiner Halt bei der einzigen Toilette mit Wasser (es gab noch ein Plumpsklo) auf dem Gelände, warten bis alle anderen raus sind und dann ab in die Sauna. Wurde es dort zu heiß, ging man einfach raus und legte sich in den etwa 50 cm hohen Schnee. Da ich keine Lust hatte jedes Mal die dicken Schuhe anzuziehen, wechselte ich auch ohne Schuhe die Gebäude.

Am nächsten Morgen war dann die Verwirrung groß, denn kaum einer fand alle seine Sachen, hier und da wurden Schuhe, Socken, Bikini-Oberteile, Handtücher, Halstücher, Kameras, Handys, Rucksäcke, Jacken etc. vermisst. Definitiv die schönste Situation war am Frühstückstisch, als einer mit Jogginghose auftauchte und erzählte, dass er seine Hose vermisst. Steht ihm einer gegenüber und meint: „Och, ich hab meine auch nicht mehr gefunden, macht aber nichts, ich habe eine andere genommen.“ „Oh, lass mich mal schauen... Ja, ist meine, ach lass an, bis du deine hast“
Jaja, wir teilen alles...

Der Rückweg war dann größtenteils verschlafen, auch wenn zwischendrin schöne Stops eingelegt wurden. So zum Beispiel in einer alten estnischen Stadt, in der eine wunderschöne Gruppenschaukel stand, die wir dringend testen mussten. 

Außerdem steuerten wir eine Töpferwerkstatt an, in der wir ein kleines Andenken formen durften, in etwa zwei Wochen wird das per Post hier ankommen. Ich habe ein kleines Glücksschwein geformt und bekam von der Töpfermeisterin sehr viel Talent dazu bescheinigt. Das hat mich natürlich gefreut.

Abends um Acht waren wir wieder hier, nur um dann mit Franks Mitbewohnern seinen Geburtstag zu feiern. Die hatten einen Kuchen besorgt und Sekt und haben auf ihn angestoßen, was ich supernett von denen fand. Ich glaube, Frank hat sich auch gefreut. Und da ich gerade noch so unter dem Eindruck dieser Tage stand musste ich erst mal berichten.













Freitag, 8. Februar 2013

08.02.2013 - Die zweite Woche



Ich habe gerade meine zweite Woche hier in Tallinn vollendet, mein Stundenplan ist nun festgelegt, es hat den ganzen Tag geschneit, ich war auf der Polizeistation um meine Aufenthaltsgenehmigung für die nächsten Jahre endgültig zu beantragen und habe bei der Gelegenheit ein wirklich grauenvolles Foto von mir geschossen. Das funktioniert hier nämlich alles digital, man muss sich erst registrieren, indem man einen Wohnungsvertrag vorlegt und den bisherigen Pass vorzeigt, sodass die Angaben übernommen werden können. Zwei Tage danach weiß dann auch die Polizei (hier: politsei) davon, dann muss man dahin, wie an der Wursttheke eine Nummer ziehen, lange warten und während man wartet, geht man in so einen Fotofixautomaten und darf drei Fotos schießen, die dem Computer digital übermittelt werden. Da ich pünktlich zu heute einen tollen Pickel am Kinn hatte, die Brille absetzen musste und müde Augen hatte, sah  das Bild auch entsprechend aus…. Achso, und biometrisch war das auch noch.  Nur um euch zu amüsieren, werde ich davon ein Foto hochladen, wenn ich das Ding in den Händen halte.  Und vielleicht auch noch von allen anderen Karten, die mein Portemonnaie einfach so bevölkern.

Angelehnt an das Wort „politsei“, das ja schon echt verboten aussieht, gibt es hier auch den Monat „Märts“, in dem ich für fünf Tage nach Lappland fahren werde. Das Ganze wird organisiert von der Vereinigung „ESN“ (Erasmus Student Network) organisiert, für die ich selbstverständlich auch eine Mitgliedskarte habe.
Auch bin ich ein Fan von dem Wort „ekvaator“, was das heißt, könnt ihr hoffentlich selbst erraten. Generell gibt es hier viele „ekstravagantne“ Wörter, die wunderschöne Buchstabenkombinationen aufweisen, die manchmal einen ganz schönen Lachanfall verursachen.


Vor ein paar Tagen hatten wir hier einen Kochparty. Gekocht wurde von intalienischen Studenten und zwar Spaghetti Carbonara. Dabei waren etwa 30 Leute in und um unsere kleine Küche anwesend und haben mit Begeisterung alles verspeist, was in den Bauch ging. Dabei haben einige unserer Teller den Weg in unsere Küche nicht mehr gefunden, weswegen wir jetzt noch einen einsamen Suppenteller und zwei stolze flache Teller besitzen. Dafür aber mindestens zwei Gläser mehr. Auch unser bisher umfangreicher Gabelbestand wurde drastisch reduziert. Wäre ja alles nicht so schlimm, aber unsere italienischen Studenten haben festgestellt, dass man ein Nudelsieb besser nicht auf eine noch funktionierende Kochplatte stellt... 

Innerhalb von Sekunden lehrte sich die Küche und unter jedem Rauchmelder stand ein Student und wedelte den Rauch weg. Auch kam ein kräftiger Wind auf, verursacht durch offene Fenster. Man möge uns verzeihen, dass wir Energieverschwendung betrieben haben, da die Heizung (Stufe 5) noch lief. Es ist kalt draußen.
Beendet wurde die Party übrigens plötzlich mitten in der Nacht von zwei Securityguys.

Dafür war das Wetter am nächsten Morgen wunderschön, es schneite die ganze Zeit und dadurch sieht das hier aus wie im Winterwunderland. Dicke Flocken, weiße Wege und der richtige „knirsch“ unter den Füßen. Blöd nur wenn man vergessen hat, die dicken Schuhe anzuziehen... Dann wird das ganze zu einer Rutschpartie, weil hier lediglich der Schnee von der Eisschicht gekratzt wird, der könnte ja jemanden stören... Daher liegen hier überall riesige Haufen von dreckigem Schnee rum, davor steht oft auch ein Männchen, was krampfhaft versucht, den Haufen etwas höher zu gestalten. Meist wird ein breiter daraus.Auf dem Schneefoto  sieht man den Blick aus Franks Fenster,  der schöne Blick mit den Äpfeln in den Fenstern ist aus meinem Raum. 



Im Moment bin ich am Packen, da ich morgen zu dem ersten Trip aufbreche, der geht nach Südestland, wer die Verhältnisse hier nicht kennt: etwa 250km bis zur Grenze in den Süden. Der Bus geht um acht, definitiv keine studentenfreundliche Zeit. Daher: Gute Nacht, oder head ööd!