Eins vorweg: Wer denkt, ich würde nur
Party machen, liegt nicht ganz richtig. Aber auch nicht falsch... Der
Trip am letzten Wochenende war beides, von daher wird der heutige
Bericht ein wenig geschichtlich bildend ausfallen, immerhin habe ich
die letzten zwei Tage sehr viel über das Land gelernt.
Am Samstag morgen sind wir um 8.00 Uhr
mit dem Bus Richtung Süden aufgebrochen. Da einer verschlafen hat
und darauf keine Rücksicht genommen wurde, waren wir einer weniger
als geplant. Trotzdem noch ein Bus voll Studenten.
Die erste Station nach etwa zwei
Stunden Fahrt war auf einem Rastplatz, wo wir Spiele gespielt haben
und in vier Gruppen eingeteilt wurden, auch wurde ein Toilettenbesuch
gestattet, denn unser nächstes Reiseziel lag in der Nähe von Tartu
und hieß „Väike-Taevaskoja“, was übersetzt „kleine
Himmelshalle“ bedeutet. Das sind 13m hohe und 190m lange
Sandsteinbänke und Felsen, die von dem Ahja-Fluss freigespült
wurden. Vor diesen ehrwürdigen Felsen haben wir Schneemänner und
-frauen gebaut und sind dann durch den umliegenden Nationalpark
spaziert, wo deutlich mehr Schnee liegt als hier in Tallinn.
Landschaftlich war das vielleicht das schönste, was ich jemals
gesehen habe... Ich habe versucht möglichst viel davon auf Bildern
festzuhalten, aber trotz guter Kamera geben die Bilder nicht alles
so ganz wieder. Schaut euch trotzdem mal ein wenig davon an.
Von diesem Park aus sind wir dann zu
einer Farm gefahren, oder besser gesagt ein Museum, in dem man sehen
kann, wie Menschen vor 100 Jahren in Estland gelebt haben. Sehr
interessant, aber ganz ehrlich - so möchte ich nicht leben. Die
Holzhäuser waren wunderschön, aber sehr dunkel und kalt, die
Räumlichkeiten jedoch sehr gemütlich. Da wurden wir dann
herumgeführt, und haben uns danach an traditionellem Kümmeltee und
einem speziellen Dessert erfreut, dessen Name ich wieder vergessen
habe. Diesen Satz werdet ihr noch öfter von mir lesen...
Die nächste Station war dann eine
nahegelegene Stadt, um den verschlafenen Studenten vom Morgen
einzusammeln, der sich tatsächlich einen Bus gesucht hat, in unsere
Nähe gefahren ist und uns dann dort getroffen hat. Nach einer kurzen
Einkaufspause ging es dann weiter zu unserem endgültigen Ziel: den
„Forest Brothers“ in Vorumaa.
Selbstverständlich gab es auch hier
einen kulturellen Teil, bestehend aus der Aufklärung über die
Geschichte von Estland in diesem Teil. Nur ein kurzer Überblick über
den historischen Hintergrund:
Estland war zwischen 1940 und 1990 von
den Sowjets besetzt, nur kurz unterbrochen von 1941-1944, als die
Deutschen dort waren. Damit beginnen auch schon die Probleme, denn
wer zur Zeit der deutschen Besatzung beim Militär war oder auch nur
mit den Deutschen zusammengearbeitet hat, wurde 25 Jahre nach
Sibirien geschickt oder direkt erschossen. Um diesem Schicksal zu
entgehen, flüchteten viele Menschen in den Wald um sich dort zu
verstecken. Dort lebten sie in unterirdischen Bunkern und wurden
„Forest Brothers“ genannt. Unsere Unterkunft wurden von
Nachkommen dieser Männer geführt und bestand aus verschiedenen
Holzhäusern und einer Schneestrecke zum Rodeln, inklusive Lift.
Dabei waren einige der Unterkünfte etwas... nennen wir es abgelegen.
Man beachte die Pyramiden auf dem Hügel. Aber sehr malerisch das
Ganze, weil es permanent geschneit hat, so lange wir da waren.
Erzählt bekamen wir die Geschichte bei
einer schönen Nachtwanderung durch den Wald und der Besichtigung
eines Nachbaus einer Unterkunft, denn diese pflegten durch die
Witterungverhältnisse innerhalb von vier bis fünf Jahren
einzustürzen. Außerdem kosteten wir von dem damaligen Geld: Wodka.
Um zu beweisen, dass man einander trauen kann, füllte man ein Glas,
tauchte den Finger ein, zündete den Alkohol an, blies es aus, trank
das Glas aus und aß ein Stück geräuchertes Fleisch.
Am Ende dieser Besichtigung des
Geländes eroberten wir die Rodelbahn. Auf großen Luftreifen
bildeten wir lange Reihen und rutschten gemeinsam den Hang herunter.
Ganz ehrlich: Neben der Natur in dem Nationalpark war das das
Schönste auf dem ganzen Trip, weil wir alle einfach Spaß hatten und
mehr oder weniger wie Kinder waren.
Durchgefroren und gut gelaunt begaben
wir uns dann zu Tisch, so etwa gegen 22.00Uhr. Doch bevor wir essen
konnten, mussten wir mit dem Wodka anstoßen: auf alle, die im Wald
gestorben sind, auf alle, die ihn überlebt haben... Das Essen war
kalt als wir uns endlich setzen durften. Mit dem Wodka im Blut war es
aber nicht schwer, nach dem Essen Lieder in einer fremden Sprache zu
singen und dazu zu tanzen. Begleitet wurden wir von einem Akkordeon
und einer Gitarre und hatten wahnsinnig viel Spaß dabei, ein Lied
klingt mir immer noch im Ohr, das werde ich vielleicht auch mal
übersetzen und aufschreiben. Denn eigentlich habe ich keine Ahnung,
was wir gesungen haben.
Am Ende des Singens war es bereits so
spät, dass der Sonntag schon angebrochen war und damit auch Franks
Geburtstag. Selbstverständlich bin ich eine gute Freundin und habe
die Tutoren vorher darüber informiert, sodass ihm in allen möglichen
Sprachen musikalisch gratuliert wurde. Danach kreiste eine Flasche
„Vana Tallinn“, ein hier hiesiger Likör. Außerdem musste Frank
eine angeblich polnische Tradition über sich ergehen lassen...
Angeblich deshalb, weil ich mir nicht
sicher bin, dass die polnische Fraktion unseres ERASMUS nicht einfach
nur Spaß haben wollte. Denn bei der Aktion geht es darum, dass das
Geburtstagskind sich auf den Bauch legt und mit einem Gürtel so oft
auf den Hintern geschlagen wird, wie es alt wird. Nicht fest
natürlich. Als gute Freundin habe ich auch ein paar leichte Schläge
verteilt, damit es kein anderer fester macht.
Ich habe diesen Brauch auch im Internet
gesucht aber nicht gefunden. Ich glaube, manche Dinge gehören
einfach bei ERASMUS dazu...
Der Abend endete damit, dass wir in die
Sauna gingen. Diese gehörte zu der Farm und war in drei verschiedene
Räume eingeteilt: zwei normale Räume und eine Smoke-Sauna. Da die
Räume nicht nebeneinander lagen und ich keine Flipflops hatte, habe
ich mir im Schlafzimmer einen Bikini angezogen, ein Handtuch
umgeschlungen und bin mit meinen dicken Schuhen und Wollsocken
ungefähr 100m durch den Schnee gestapft. Zwischendurch noch ein
kleiner Halt bei der einzigen Toilette mit Wasser (es gab noch ein
Plumpsklo) auf dem Gelände, warten bis alle anderen raus sind und
dann ab in die Sauna. Wurde es dort zu heiß, ging man einfach raus
und legte sich in den etwa 50 cm hohen Schnee. Da ich keine Lust
hatte jedes Mal die dicken Schuhe anzuziehen, wechselte ich auch ohne
Schuhe die Gebäude.
Am nächsten Morgen war dann die
Verwirrung groß, denn kaum einer fand alle seine Sachen, hier und da
wurden Schuhe, Socken, Bikini-Oberteile, Handtücher, Halstücher,
Kameras, Handys, Rucksäcke, Jacken etc. vermisst. Definitiv die
schönste Situation war am Frühstückstisch, als einer mit
Jogginghose auftauchte und erzählte, dass er seine Hose vermisst.
Steht ihm einer gegenüber und meint: „Och, ich hab meine auch
nicht mehr gefunden, macht aber nichts, ich habe eine andere
genommen.“ „Oh, lass mich mal schauen... Ja, ist meine, ach lass
an, bis du deine hast“
Jaja, wir teilen alles...
Der Rückweg war dann größtenteils
verschlafen, auch wenn zwischendrin schöne Stops eingelegt wurden.
So zum Beispiel in einer alten estnischen Stadt, in der eine
wunderschöne Gruppenschaukel stand, die wir dringend testen mussten.
Außerdem steuerten wir eine Töpferwerkstatt an, in der wir ein
kleines Andenken formen durften, in etwa zwei Wochen wird das per
Post hier ankommen. Ich habe ein kleines Glücksschwein geformt und
bekam von der Töpfermeisterin sehr viel Talent dazu bescheinigt. Das
hat mich natürlich gefreut.
Abends um Acht waren wir wieder hier,
nur um dann mit Franks Mitbewohnern seinen Geburtstag zu feiern. Die
hatten einen Kuchen besorgt und Sekt und haben auf ihn angestoßen,
was ich supernett von denen fand. Ich glaube, Frank hat sich auch
gefreut. Und da ich gerade noch so unter dem Eindruck dieser Tage stand musste ich erst mal berichten.